Das Abverdienen als Leutnant

chrystal93

Neuer Benutzer
16. Mai 2010
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Guten Tag

Seit nun einem Monat habe ich als Leutnant die Verbandsausbildung beendet und bin nun wieder im zivilen Leben eingegliedert.

Es gibt eine Tatsache, welche mich beschäftigt: Der Militärdienst nach der Offiziersschule war für mich eine einzige Tragödie.

Nun wollte ich mein Wort an Sie richten und fragen, wie Ihr die Zeit während des Abverdienens erlebt habt. Hiermit möchte ich herausfinden, ob die Probleme gesamtschweizerisch im Militär auftreten oder ob nur gewisse Teile der Armee betroffen sind.

Aber zuerst zu meiner militärischen Laufbahn.

Am 28.Januar 2013 rückte ich als Fallschirmaufklärer-Anwärter in Isone ein, wo ich die Grundausbildung fertig absolvierte. Ich bestand die Selektion nicht und wurde umgeteilt zum Fliegersoldaten in Payerne. Dort absolvierte ich die Unteroffiziersschule und anschliessend die Offiziersschule, alles in Payerne. Bis zu diesem Zeitpunkt gefiel mir der Militärdienst.

Klar gab es Höhen und Tiefen, aber im Grossen und Ganzen kann ich auf eine sehr lehrreiche, interessante und schöne Zeit zurückblicken. Gerne erinnere ich mich an die verschiedenen Erfahrungen, welche ich machen konnte, sei es während dem Grenzen austesten in Isone oder die Arbeit am SuperPuma/Jet in Payerne.

Jedoch war diese schöne Zeit mit der Übernahme der Rekruten als Oberwachtmeister und dem Wechsel in ein anderes Kommando schlagartig vorbei und das Führungsprinzip Fordern / Fördern / Fair von Seitens Berufsmilitär war verschwunden. Ich muss anfügen, dass es wenige Vorgesetzte gab, auf die das nicht zutrifft. Die folgenden Aussagen betreffen aber einen erschreckend hohen Teil:

Gegen meine Erwartungen waren es niemals die Rekruten, welche mir Sorgen und Nachtschichten bis in die Morgenstunden bescherten, sondern meine militärischen Vorgesetzten. Drohungen- nie hörte ich so oft Drohungen wie während dem Abverdienen.

Offensichtlich wurden wir Zugführer nie respektiert, mehrmals hörte ich den Spruch "Sie kleiner Oberwachtmeister / Sie kleiner Leutnant", und es war beinahe unmöglich, etwas Gut zu machen, egal wie viele Stunden man aufopferte und egal wie viel Einsatz man zeigte, die Leistung schien nie zu genügen. Wenn man sich über Wochen und Monate mit viel Effort und Einsatz in eine Sache hineinkniet und sich aufopfert und schlussendlich doch nur alles schlecht ist nagt dies an der Motivation.

Wir Zugführer fühlten uns hintergangen, von Morgens bis spätnachts gibt man Einsatz und trotzdem wird man wie ein Fussabtreter behandelt, für alles Schuld, für alles Verantwortlich, niemand sagt Danke, nie Ausgang und das Einzige Privileg ist das Of-Besteck? Das kann es nicht sein.

Für mich persönlich war die Zeit als Zugführer überaus mühsam und das Militär hat seinen Reiz verloren, zu viel wurde mit leeren Versprechungen, Drohungen, Überheblichkeit und dem Institutionellen Führungsstil der Vorgesetzten zerstört. Ein ganzes Jahr meines Lebens habe ich für den Werdegang zum Offizier geopfert, weil ich an eine kompetente Ausbildung und der Möglichkeit geglaubt habe, Menschen zu führen und zu lenken. Doch ich frage mich zu welchem Preis, und ob ich mich noch einmal für den Weg zum Offizier entscheiden würde. Wahrscheinlich nicht.

Ich muss ehrlich sein: Mich hat der Militärdienst nach der Offiziersschule bitter enttäuscht. Ich habe sehr viel gelernt, dies lässt sich nicht abstreiten. Aber fast alles lernte ich aus einem negativen Effekt, im Sinne davon, jemanden niemals so zu behandeln, wie ich selber behandelt wurde.

Nun würde ich gerne erfahren, wie es euch ergangen ist während dem Abverdienen? Liegt das Problem in bestimmten Teilen oder ist die Problematik überall in der Armee anzutreffen?

Besten Dank für euer Feedback.

 
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Hi chrystal93

Ich habe deinen Bericht mit grossem Interesse gelesen und teile dir nun gerne meine Erfahrungen mit. Abverdient habe ich im letzten Jahr von Juli bis November als Minenwerferzugführer und während der VBA als Kp Kdt Stv. Die Tätigkeit als Zugführer war eine sehr erfüllende Zeit für mich und ich konnte viele wertvolle Erfahrungen sammeln. Aber natürlich gab es auch Momente welche extrem frustrierend waren und einem zum durchbeissen zwangen.

Tatsächlich war es auch bei mir so, dass ich die grössten Konflikte mit den vorgesetzten (Berufs-)Kadern hatte. Einige Befehle schienen sinnlos, die eigene Planung wurde übergangen und im Nachhinein gab es einen ZS. Mein Hauptproblem war, dass ich mir als Zugführer gerne mehr Freiheiten bei der Ausbildung / bei Übungen gewünscht hätte. Aber diese Konflikte bildeten die Ausnahme. Den alles in allem war ich sehr dankbar für die Unterstützung des BM-Teams, welches mir jederzeit unter die Arme griff wenn ich einmal ins Straucheln geriet.

Nun zu deiner Situation: Sprüche wie "Kleiner Oberwachtmeister" finde ich absolut daneben und ein Zeichen von Inkompetenz seitens des Vorgesetzten. Seine Aufgabe ist es, dich bei deiner schwierigen Aufgabe zu unterstützen und dich konstruktiv zu kritisieren, solltest du einen Fehler gemacht haben. Kein Obwm im Praktikum ist der geborene Führer, schliesslich heisst es ja auch: "Praktikum". Jeder Kader macht Fehler, solange er die Konsequenzen daraus zieht und sich das ganze nicht wiederholt ist aus meiner Sicht nicht viel dabei.

Es tut mir leid zu hören, dass du deine Zeit als Zugführer nicht wirklich geniessen konntest. Natürlich darf und soll von einem Offizier mehr verlangt werden. Aber Anerkennung ist das wichtigste für einen Menschen wenn es darum geht, ob er sich bei seiner Arbeit wohl fühlt oder nicht. Jeder braucht hin und wieder ein "gut gemacht" damit er bereit ist, mehr zu leisten. Ich kann deine schlechten Erfahrungen nicht teilen aber schlechte Chefs gibt es leider überall. Nicht nur im Militär, auch in der Schule oder in der Privatwirtschaft. Warte auf deinen ersten WK und schaue dort wie sich das ganze mit deinen neuen Vorgesetzten ergibt.

Abschliessend möchte ich dir nur noch folgendes mitgeben:

Die Entscheidung, Offizier zu werden, war die richtige. Punkt.

Grüsse

Stiglitz

 
Eine Episode aus meiner langen Dienstzeit. (Armee 61/95) Ein Abt-Adj, Major, nannte mich mal in einer etwas hitzigen Diskussion auch "... Sie kleiner Adjudant. Ich beschwerte mich umgehend beim Abt Kdt. Resultat: Der Major ist umgehend aus dem Abt Stab verschwunden. Vermutlich hatte er noch mehr Dreck am Stecken.

Gruss

Werner

 
Ich habe das ganze gelesen.

Ich war nicht dabei und kann grundsätzlich nicht darüber urteilen, aber was ich dir sagen kann : wenn du Wertschätzung erwartest, warst du im falschen Verein.

Ich habe auch die Erfahrungen gemacht, dass sehr vieles in der Armee als völlig Selbstverständlich betrachtet wird.

Nun, was war meine Reaktion?! Ich habe den Kadern der Zukunft auf den Weg gegeben, Sie sollen anders werden, dieses Ziel verfolge ich bis Heute. Ich habe die Kader mal lästern lassen (die,die wollten konnten Namen nennen, Sie mussten aber nicht) ich habe sie eine Liste erstellen lassen, mit den Dingen welche Sie an ihren bisherigern Kadern gestört hat.

Danach jeweils, gehe ich im Abverdienen zu Ihnen, und nehme mal die Liste hervor ;)

So gehe ich übrigens auch durchs Privatleben, ich nehme mir Negativ Beispiele und versuche das ganze besser zu machen.

 
Ich kann nicht sagen das es mir ähnlich ging, aber zum Teil fühlte ich mich etwas alleine gelassen durch die BU/BO und ZM. Vor allem kam aber in der VBA immer wieder die Aussage: "Ich sage nicht das es richtig ist, aber es ist eine Möglichkeit." Anstelle das man selber direkt kurz aufgezeigt hätte wie man es gelöst hat, beziehungsweise lösen würde, hätte man die selbe Situation. Zum Glück ist dieser Teil der Ausbildung in der Zwischenzeit ebenfalls reglementarisch festgehalten, so das mit klaren Kontrollpunkten gearbeitet werden kann.

Was mich damals am meisten gestört hat, war wie wir durch die BO einer anderen VBA behandelt wurden. Unser BO war gerecht, mit ihm konnte man auch mal über gewisse Dinge diskutieren. (Klar Befehle waren Befehle, aber er hat auch ein Leben neben an, und da entwickeln sich gerne Gespräche und Diskussionen.) Bei den anderen war das jedoch was völlig anderes. Da bin ich von Zeit zu Zeit ziemlich am Limit gelaufen, und das war dann im ersten Moment auch der Zeitpunkt wo ich sagen musste: Froh endlich fertig zu sein, auch wenn der ganze Rest eine geile Zeit war. AGA/FGA hatten wir Unterstützung durch das Team, da konnten wir auch etwas reissen und geniale Dinge machen. Ausgang lag drin, aber auch harte Abende der Arbeit mussten sein, so wie es halt ist.

Schliesslich und endlich muss ich sagen, es passt mir das ich diese Ausbildung gemacht habe, und ich bereue auch diesen Schritte denn ich letztes Jahr gemacht habe nicht. Da war das Abverdienen mal was ganz anderes. Dazu gerne ein ander mal mehr. :)

Gruss

sergey

 
Ich habe mir bewusst etwas Zeit gelassen mit dem Antworten, besten Dank für eure Antworten.

Nun sind rund 3 Monate vergangen seit dem letzten Tag Abverdienen, und obwohl mich das Verhalten einiger Vorgesetze immer noch sehr stört und ich genau weiss, dass ich so einen Umgang nicht mehr tolerieren würde, zeichnen sich erste Vorteile im Zivilen ab, welche ich vom Militär mitnehmen konnte.

Man könnte fast sagen, dass mich das Zivilleben langweilt, zu viel Zeit bleibt am Abend und in der Nacht übrig, die Anforderungen sind deutlich gesunken.

Heute bin ich froh, kann ich Probleme anderer belächeln und bleibe in Stresssituation kühl und unberührt.

Dies alles sowie eine neue Definition für Leidensbereitschaft, Ehrgeiz und Wille prägen nun doch mein Zivilleben und generieren einen klarer Vorteil gegenüber allen, welche keine Militärausbildung hatten.

Obwohl ich mir mit einem Monat Absenz pro Jahr einen klaren und von diversen Arbeitgebern bestätigten Nachteil erschafft habe glaube ich doch, mit meiner Ausbildung und Erfahrungen Arbeiten und Aufträge auch grosser Dimensionen besser und effektiver erarbeiten zu können als andere, man denke da nur an die vielen verschiedenen Problemlöse-strategien, Verhaltensmuster, Arbeitsbewältigungstechnikenund Entschlussfassungsübungen, welche ich jetzt in abgeänderter Form und mit mehr Rücksicht auf Untergeordnete anwenden kann. Und dafür sollte ich dankbar sein.

Ich bin sogar dazu geneigt, den Militärdienst zu vermissen, da es neben vielen dunklen Tagen auch viele sonnige, wunderbare Tage gab, an welche ich mich sehr gerne zurück erinnere. Müsste ich mein Verhältnis zum Militär definieren würde ich von einer Art Hassliebe sprechen.

Oder täusche ich mich und es ist generell so, dass man sich nach einiger Zeit nur noch an die vielen schönen Momente erinnert und die zermürbenden Situationen vergisst? Vielleicht.

Was bleibt, sind Erinnerungen und der mit Erfahrungen gefüllte Rucksack, wie mein Schulkommandant zu sagen pflegte.

Und diese Erfahrungen kann ich mir nun zunutze machen, die Erfahrungen lassen mich selbstbewusst und strukturiert jedes Problem lösen.

Das Fazit nach dreimonatiger Distanz zur Armee fällt also positiv aus, ich bin froh, habe ich den Schritt zum Offizier gewagt, auch wenn ich evt. besser zwischen OS und Abverdienen fraktioniert hätte, da mir 14Monate intensive Armee am Stück doch recht lang erschienen.

Besten Dank noch einmal für euer Feedback.

 
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Ich bin sogar dazu geneigt, den Militärdienst zu vermissen, da es neben vielen dunklen Tagen auch viele sonnige, wunderbare Tage gab, an welche ich mich sehr gerne zurück erinnere. Müsste ich mein Verhältnis zum Militär definieren würde ich von einer Art Hassliebe sprechen. Oder täusche ich mich und es ist generell so, dass man sich nach einiger Zeit nur noch an die vielen schönen Momente erinnert und die zermürbenden Situationen vergisst? Vielleicht.

Was bleibt, sind Erinnerungen und der mit Erfahrungen gefüllte Rucksack, wie mein Schulkommandant zu sagen pflegte.

Und diese Erfahrungen kann ich mir nun zunutze machen, die Erfahrungen lassen mich selbstbewusst und strukturiert jedes Problem lösen.

Das Fazit nach dreimonatiger Distanz zur Armee fällt also positiv aus, ich bin froh, habe ich den Schritt zum Offizier gewagt, auch wenn ich evt. besser zwischen OS und Abverdienen fraktioniert hätte, da mir 14Monate intensive Armee am Stück doch recht lang erschienen.
Es ging mir zum Teil ähnlich. Und schliesslich muss ich dann doch sagen, bin ich froh in der Privatwirtschaft zu sein wo es eben strukturierte Arbeitstage gibt.

Jein. Es ist natürlich einfacher die schönen Momente noch einmal aufleben zu lassen. Aber auch die 'schlechten' Momente werden dir sicherlich in Erinnerung bleiben, und du wirst gerne mit deinen Leidensgenossen darüber sinnieren. ;)

Bringt Vor und Nachteile. Mit einer Fraktionierung hast du einfach die Gefahr das sich gewisse Abläufe in der Zwischenzeit schon geändert haben die du noch als selbstverständlich ansiehst. Aber du hast durch diese Zeit auch einen gewissen Abstand um das ganze aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Es freut mich, dass du schliesslich und endlich doch zufrieden bist mit dieser Wahl. Ich bereue meinen Entscheid heute keine Sekunde, nur schon durch die vielen neuen Beziehungen zu Personen die ich sonst nie, oder nur unter erschwerten Umständen hätte aufbauen können. Und natürlich erfüllt es mich freude 'meine' Jungs zum Erfolg zu führen. :)

Gruss

sergey