Danke Libero für deine ausführliche Antwort.
Gleichfalls ?
Es geht darum, nach einem erfolgten konventionellen oder terroristischen Angriff die gegnerische Operationsbasis oder Waffensysteme, die weniger als 200 km von der Grenze entfernt stehen, in ihrer Aktion behindern oder vernichten zu können. Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang die dissuasive Wirkung der blossen Existenz der Fähigkeit zu einem solchen Gegenschlag. Es geht vor allem darum, die Fähigkeit zu erhalten und zu beschaffen, wenn sich die nachbarlichen politischen Verhältnisse nicht so stabil entwickeln, wie dies heute der Fall ist. Die Existenz von NATO und EU ist keine Gesetzmässigkeit.
Die Aussage von alt-KKdt Gygax ist sicher richtig. Auch ich bin der Meinung, dass die Armee die Fähigkeit zu operativem Feuer erlangen soll (ob über Luftwaffe oder Rak Art ist dabei nicht entscheidend). Aber auch zu Zeiten der Erdkampf-Hunter, bewaffnet mit AGM-65 Maverick ging es "nur" darum, Luftnahunterstützung (Close Air Support) zu ermöglichen resp. Frontnahe Bodenziele bekämpfen zu können. Um "Deep Strike" Fähigkeiten erreichen zu können, braucht es aus Sicht der Luftkriegsführung noch deutlich mehr, als nur Flugzeuge, die Boden-Luft Raketen abfeuern können. Wie eine solche Operation durchgeführt werden muss, kann ich aus zeitlichen Gründen hier nicht erläutern.
Und die Präsentation ist immerhin von Div Walser, Kdt Ter Div 2.
Nun gut, ich war diesen Januar am Jahresrapport der Ter Div 4. Aussage des Div Kdt bezüglich Übungsszenarien war dort, dass mit der Inf und dem G Bat die Verteidigung geübt werden soll. Die Übungsszenarien sind auf der höchsten Eskalationsstufe anzusiedeln. Und aus meiner Tätigkeit in der Armee weiss ich, dass dies bereits im vergangenen Jahr so umgesetzt wurde und weiterhin wird.
Ich bin einverstanden, die russischen West-Streitmächte sind heute kein realistischer Gegner. Aber was ist mit morgen?
Die russischen Streitkräfte werden auch morgen kein realistischer Gegner sein. Aber es kann durchaus sein, dass Nachbarländer von Russland destabilisiert sind oder sogar (teilweise) besetzt werden. Mit den Auswirkungen, die dann indirekt uns betreffen, muss sich die Armee abfinden und darauf reagieren können. Es geht aus meiner Sicht also nicht darum, den grossen russischen Stoss durch die Schweiz abwehren zu können, sondern die Schweiz verteidigen zu können, wenn die Lage in Osteuropa deutlich instabiler ist, als jetzt. Und damit möchte ich keinesfalls die Rolle Russlands verharmlosen, sondern nun für uns aufzeigen, was die Wiedererstarkung der russischen Streitkräfte für
uns bedeuten kann.
Um die verfassungsmässige Aufgabe "Verteidigung" zu erfüllen, muss die Armee eine so starke dissuasive Wirkung entfalten können, dass jeder mögliche Gegner gar nicht erst auf die Idee kommt, die Schweiz anzugreifen. Im Gegensatz zur Auffassung des Bundesrates und der Armeeführung bin ich auch nicht der Meinung, dass sich die Armee auf den wahrscheinlichsten Gegner vorbereiten muss sondern auf die gefährlichste gegnerische Möglichkeit (kommt dir das aus einem Lehrgang bekannt vor?).
Das Prinzip des ausrichten auf die gefährlichste gegnerische Möglichkeit macht im Lehrbuch sicher Sinn. In der Armee (nicht nur in der Schweiz, sondern in allen mir weltweit bekannten Armeen - selbst Nordkorea) ist man zurecht davon abgerückt. Es wird nun in der Schweiz eine Kombination aus wahrscheinlichster und gefährlichster gegnerischer Möglichkeit ermittelt, die dann als "bestimmende gegnerische Möglichkeit" bezeichnet wird. Der Grund ist relativ einfach. Wenn wir nur von der gefährlichsten gegnerischen Möglichkeit ausgehen, müssen wir rasch zu Erkenntnis gelangen, dass die dazu nötigen Mittel die Schweizer Volkswirtschaft rasch überlasten. Ziel der Verteidigung muss es also nicht sein, dass der Gegner gar nie die Landesgrenze überschreitet. Sondern, wenn er es machen würde, wir Land und Leute so verteidigen können, dass es sich für einen Gegner nicht lohnen würde, die Schweiz vollständig zu "besetzen". Wir müssen uns von der Vorstellung abwenden, dass jeder Grenzstein verteidigt werden kann. Auch dieses Konzept ist übrigens nicht neu, mit der "Zentralstellung" war bereits ein ähnliches Konzept in Anwendung.
Ich behaupte also, dass die ausschliessliche Ausrichtung auf die gefährlichste gegnerische Möglichkeit zwar attraktiv wäre, wir uns das aber schlicht und einfach nicht leisten können.
Anderes Verteidigungskonzept: Miliz mit stark verlängerter Dienstpflicht bis mind. zum 40 Lebensjahr. Vollständige und moderne Ausrüstung. Fokus der Führung, Ausbildung und Beschaffung auf die Verteidigungsfähigkeit (die gefährlichste Möglichkeit eben, wenn man das beherrscht, kann man auch alles Andere) und nicht auf die subsidiären Einsätze.
Demographische Mittel: Dienstpflicht bis 40. Wehrpflicht für alle Bürgerinnen und Bürger (+100% Rekruten). Weiteres Entwickeln der differenzierten Tauglichkeit. Abschaffung des Tatbeweises bei der Zulassung zum Zivildienst.
Die Armee kann dies nicht umsetzen, das ist mir klar und das habe ich auch nicht gefordert. Die Bürgerinnen und Bürger sowie die Politik müssen es tun.
Wenn man nun pro Rekrutenjahrgang mit 15'000 AdA rechnet, würde die Verlängerung der Dienstpflicht ein Bestand von ca. 300'000 AdA bedeuten. Wenn die Wehrpflicht auch für die Frauen gelten würde, wäre man bei ca. 600'000 AdA. Im Gegensatz zum kalten Krieg ist die kriegsgenügende Ausrüstung eines Soldaten heute viel aufwendiger und vor allem teurer. Es reicht also nicht, dass der Füsilier ein Stgw, Blechhelm und eine Gasmaske hat. Was die Standardausrüstung eines Inf Zuges ist, dürfte bekannt sein. Um also 600'000 AdA auszurüsten wäre ein initiales Rüstungsbudget von grob geschätzten CHF 20 - 40 Milliarden nötig. Dazu noch Immobilienprojekte im Umfang mehreren dutzend Milliarden CHF. Und das laufende Armeebudget wäre wahrscheinlich um die CHF 10 - 15 Milliarden pro Jahr. Nun stellt sich also die Frage, ob die Bürgerinnen und Bürger das so wollen. Kombiniert mit viel längeren Absenzen von der Arbeitsstelle (Stichwort: Kann das die Wirtschaft überhaupt finanzieren?).
Aus den oben genannten Gründen bleibe ich bei meiner Aussage, dass die WEA die richtige Antwort auf die aktuelle Lage ist. Erstmals in der Geschichte der Schweizer Armee haben wir übrigens ein Leistungsprofil, dass vom Parlament politisch abgesegnet wurde. Im Moment sieht es also für mich danach aus, als würde die Armee die Aufträge der Politik umsetzen.
Dass es Verbesserungsbedarf gibt, ist unbestritten - zumindest bei der Armeeführung. Wie sich die Politik dazu stellt, wird sich dann weisen (Stichworte: Verteidigungsfähigkeiten Luft, Erneuerung der Grosssysteme Boden, Erneuerung Telekommunikation).
PS: Zur Flughöhe:
Übrigens geht es hier nicht um die von Dir wiederholt erwähnte operative Stufe, sondern um die strategische Stufe.
Nein, es geht eben nur um die operative Stufe. So lange kein Gegner "vor der Haustüre" steht, kann keine Strategie entwickelt werden. Die Strategie kann erst bei vorliegen einer konkreten Bedrohung entwickelt werden, da sie sonst nicht auf einen angestrebten Endzustand ausgerichtet werden kann (Stichwort: Zentrum/Zentren der Kraftentfaltung). Die Erarbeitung einer Strategie ist Sache der strategischen Führung (Bundesrat), der dabei durch die militärstrategische Stufe (Oberbefehlshaber) unterstützt wird. Die Armee muss also eines der Tools in der strategischen Werkzeugkiste des Bundesrates sein. Die strategische Stufe legt die Strategie fest, die operative Stufe setzt sie um (zumindest in der Schweiz - global agierende Armeen wie die U.S. Armee behandeln das Thema Strategie durchaus auch militärisch). Damit die strategische Stufe sichergehen kann, dass die operative Stufe in ihrem Sinne umsetzt, gibt es eine Doktrin (die sich dann in den Reglementen niederschlägt).